Freitag, 22. Juli 2022

Das Reich der Vampire (Rezension)

 Wer toten Zungen lauscht,

 wird tote Zungen schmecken     

                               




Allgemeines:
- 1. Teil 
- Hardcover, eBook
- 26,00 Euro, 22,99 Euro
- Verlag: Fischer Tor
- Originalausgabe: Empire of the Vampire
- Erscheinungsdatum: 29.06.2022
- Seiten: 1019

Darum geht es:
Vor 27 Jahren ging die Sonne unter – und seitdem sind die Armeen der Vampire auf dem Vormarsch. Stück für Stück haben sie ihr ewiges Reich ausgedehnt und den Menschen den Boden streitig gemacht, bis nur noch an wenigen Orten ein unbeschwertes Leben möglich ist. Kleine Inseln des Lichts in einem Meer aus ewiger Finsternis.

Als der junge Gabriel de León sein Heimatdorf verlassen muss, führt ihn sein Weg nach San Michon, zum Orden der Silberwächter, einer heiligen Bruderschaft, die das Reich und die Kirche gegen den Ansturm der Bestien verteidigt. Und noch ahnt er nicht, dass er zur größten Legende des Ordens werden wird – und zur letzten Hoffnung einer sterbenden Welt.


Meine Meinung:

Ich weiß absolut nicht, wo ich anfangen soll, oder wie ich das in Worte fassen soll, was ich bei diesem Buch empfinde. Ein absolutes Meisterwerk, das mich zwei Wochen lang jeden Tag begleitete, mich beschäftigte und mich einfach verdammt nochmal nicht losgelassen hat. Wie ständig meine Gedanken um die Charaktere, um die Handlung, um die ganze Welt streiften, die Jay Kristoff da geschaffen hatte und in der ich mich vollkommen verloren hatte. 
Okay, fangen wir mit dem Cover an. Ein so klasse Cover! Detailreich, dunkel wie das Buch selbst, und so kunstvoll, dass es tatsächlich mein Lieblingscover von allen Fantasybüchern ist, die in meinem Regal stehen. Ich kann mich immer noch nicht sattsehen. Wow, größten Respekt an den Covergestalter, ein so komplexes, atemberaubendes Cover ist mir noch nie begegnet. 
Genau so umwerfend wie das Cover ist auch der Inhalt. Erzählt wird aus einer Rahmenhandlung; Gabriel de Léon, unser Protagonist, befindet sich in Gefangenschaft und muss dem Historiker und Vampir Jean-Francais seine Lebensgeschichte erzählen. Diese ergibt sich aus zwei Zeitstempeln: Dem jungen Gabriel mit knappen fünfzehn Jahren, wie er in das Kloster von San Michon kommt und dort zu einem Silberwächter ausgebildet wird und dem 32-Jahre alten Gabriel, der ein Gefolgsmann der Gralsgemeinschaft und ein Exkommunizierter des Klosters ist. Mit mehreren Kapiteln in der jeweiligen Zeit wird abwechselnd die Binnenhandlung dargestellt und der Leser wird in eine unfassbar komplexe und geniale Welt reingeworfen, dass es zu Beginn durchaus schwerfiel, alle Charaktere und Zeitstempel auseinanderzuhalten. Aber man fuchst sich zurecht und wird immer tiefer in den Bann gezogen. 
Fangen wir mit dem Beginn von Gabriels Reise an. Ab ovo sozusagen verfolgen wir Gabriels Werdegang - wie er von seiner Heimat in das Kloster von San Michon reist, das Halbblüter (Söhne von vampirischen Vätern mit menschlichen Müttern) zu Silberwächtern ausbildet, die der Kirche treu als Soldaten dienen. Als Schild zwischen Menschen und den „echten“ Vampiren dienen sie treu der Muttermaid, dem Erlöser und Gott und beschützen erstere vor den Vampiren. Diese sind nämlich unter dem Ewig König auf Vormarsch, das ganze Land Elidaen sich untertan zu machen. Allerdings wird auch recht schnell klar, dass die Silberwächter trotz ihrer besonderen und gottesfürchtigen Stellung ziemliche Probleme haben: sie genießen sowohl kein hohes Ansehen bei den Menschen als dass sie auch mit dem „Fluch“ der Vaterseite zu kämpfen haben. Eine sehr gelungene und interessante Mischung, die sich Kristoff ausgedacht hat. Gabriel muss das „Sanktus“ rauchen, pulverisiertes Blut, um das Monster in sich in Schach zu halten und gleichzeitig genießt er die Vorzüge des Vampirseins. Schnell wird im Kloster die Rauheit des Lebens klar - der kleine Löwe, wie er von den anderen geneckt wird, muss sich behaupten und wird langsam zum gefürchteten schwarzen Löwe heranwachsen, den alle fürchten. Dieser Part des Buches legte im Prinzip den Grundstein und öffnete alle Fragefelder, auf die sich Teil 2 der Reihe und Teil 2 der Binnengeschichte schützen. Gemeinsam mit der Nonnin Astrid erforscht er zum Beispiel, was es mit der fünften Blutlinie auf sich hat, die Gabriel glaubt anzugehören. Das macht den Leser besonders neugierig, vor allem, da er natürlich auch Astrid immer näher kommt und eigentlich laufend sündigt und damit seine gesamte Existenz aufs Glatteis führt. Aber wir lernen auch viele Charaktere kennen, die im späteren Verlauf eine wichtige Rolle spielen werden und die das Zünglein an der Waage sind. Ich bin kein besonderer Fan von Klostergeschichten und co, aber trotzdem fühlte ich mich gut unterhalten.

Parallel läuft eine zweite Binnenhandlung ab; Gabriel, der mit der Gralsgemeinschaft reist und deren Ziel es ist, den Heiligen Gral nach San Michon zu bringen. Elidaen ist seit dem Tagestod in vollkommener Finsternis gehüllt - Ziel ist es, dass der Gral den Tagestod annulliert und so den Vampiren ein endgültiges Ende gesetzt wird. Handlungstechnisch raffiniert, wenn auch sehr komplex, dass ich des Öfteren schon Probleme hatte, dem Geschehen zu folgen. Wirklich gefesselt und unterhalten haben mich allerdings die Charaktere. Saoirse, Rafa, Chloé, Bellamy und Phoebe - vor allem aber Dior, die einfach absolut genial ist und einfach den größten Plottwist ausbildete, dass ich immer noch über diese Genialität gleichermaßen amüsiert wie fasziniert bin. Während Teil 1 der Binnenhandlung ausläuft, kommt diese Zeit richtig in Fahrt. Der Leser erlebt packende Schlachten mit den Vampiren, Twist auf Twist, Überraschungen, alte Bekannte, die Gabriel ganz schön das Hirn vernebeln, eine Menge Brutalität und über alles eine fiebrige, mitreißende Geschichte, die einen nicht mehr loslässt. Ein Buch ist dann richtig gut, wenn man gedanklich andauernd bei den Charakteren und in der Welt ist - herzlichen Glückwunsch! Bei mir war es so und ich bin gleichermaßen geschockt wie ekstatisch, als sich das Ende ankündigte. 
Wo beide Handlungsstränge sozusagen zusammenlaufen und ein Showdown stattfindet, der mehr als genial und atemberaubend ist. Diese finale Verknüpfung macht mich so sprachlos, dass ich immer noch Probleme habe, meine Gedanken und Gefühle in Worte zu fassen. Aber eins sei gesagt: Wow!

Eine allgemeine Sache, die mir vor allem im Buch aufgefallen ist, ist dieser unverblümte Brutalität. Bestimmt hatte sie ihre Funktion, aber für zart besaitete Leser ist es partout nichts. Dann ist natürlich die Frage, welches Ausmaß an Grausamkeit gerechtfertigt ist, in die ewig finstere Welt von Elidaen passt sie auf jeden Fall. Eine weitere Sache ist vor allem das Repertoire an Schimpfwörtern und -ausdrücken. Ich möchte nichts verraten, aber amüsant waren sie auf jeden Fall und haben frischen Wind gebracht. 

Die Charaktere, die dieses Buch zum Leben bringen, sind einfach nur genial. Von Gabriel, der ein Protagonist ist, der bis ins letzte Detail ausgefeilt ist, zu Dior, die einfach Bad-Ass ist und Gabriel ziemlich die Show gestohlen hat. Ich bin rundum zufrieden mit den Charakteren - ausgearbeitet, verständlich, lebendig, machen sie das Buch zu einem richtigen Meisterwerk. Nicht zuletzt durch diesen grandiosen Schreibstil, über dessen Wordbuilding ich immer wieder nur staunen kann. Flüssig, eloquent, auf den Punkt gebracht - hebt er einmal mehr hervor, was dieses Buch für ein Meisterwerk und persönliches Jahreshighlight ist.


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